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1997 |
Klaus Huber, Buddy Sacher und Peter Wilmanns sind Meister der Zwischentöne, poetische Dompteure des Irrsinns, schrullige Melancholiker von virtuoser Musikalität. Ihre Originalität, ihr schier unendlicher Erfindungsreichtum und ihr perfektes Gespür für menschliche Absurdität und die Poesie des Grotesken macht die Träger von Deutschem Kleinkunstpreis und Prix Pantheon zum Dreimannbollwerk gegen die Flach- und Dummheiten der unentrinnbaren Quatsch-Comedy-Flut.
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2011 |
Bionade-Biedermeier: „Freiburgs obere Altstadt bietet gleich zwei Lokale, die auch bei der Generation Bionade gefallen finden. Oben am Augustinerplatz bei „aran“ kommt es zum munteren Stelldichein von Massivholz, Vollkorn und Ofenkartoffel. Einige Besucher wirken hier trotz ihrer jungen Jahre von der Last des Erwerbslebens einigermaßen befreit. Andere wiederum zeigen den etwas herrischen Blick angehender Öko-Junker, die kurz vor der Übernahme einer Windmühlenmehrheit stehen. Das etwas angespannte Verhältnis der Gäste zur Gulaschkanone lässt sich auch daran erkennen, dass es bei „aran“ eine üppige Auswahl an Vollkorn und vegetarisch komponiertem „Aufstrich“ gibt, der in etwa so schmeckt, wie er hier ausdrücklich genannt wird. In der Summe ein heiter bis nachdenklich stimmender Platz zur teilnehmenden Beobachtung, ideal auch fürs erste Date einer Katholischen Fachhochschülerin mit einem Attac-Aktivisten.“
Wolfgang Abel ist der prosaischste Heimatdichter, der sich denken lässt. In seinen Büchern erzählt er seit Jahrzehnten von der Hochkultur im Kleinen, vom Guten im Bürgerlichen, von den Nischen im Niedergang. Wer sich seinen Texten mit wachen Sinnen nähert, der wird in ihren Bann gezogen, wer die zugrundeliegende Wirklichkeit des Südwestens kennt, der erkennt erst ihre wahre Qualität. Wolfgang Abel ist die große Ausnahme im korrupten Milieu der Lebensart-Schreiber, für seine Unbestechlichkeit zahlt er – das liegt auf der Hand – einen hohen persönlichen Preis. Seine Motivation ist die Liebe zum Detail, sein Ziel die Sensibilität für die materiellen Fundamente eines gelingenden menschlichen Lebens: das Brot, der Tisch, das Glas Wein, das Soziale des Gasthauses. Kultur findet im Alltag statt, oder sie ist nicht vorhanden. Das Markgräflerland hat Wolfgang Abel viel zu verdanken.
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1999 |
Dem Regisseur Didi Danquart gelingt es mit seiner Kino-Adaption von Strittmatters „Viehjud Levi“ ohne aufdringliche Klischees und mit fast lakonischer Leichtigkeit durch die Sogkraft seiner Bilder ein tief ergreifendes Lehrstück über emotionale Begrenztheit, Passivität und Anpassung zu erzählen. Der Mensch Didi Danquart richtet sich niemals im Gemütlichen ein, trotz Spannungen und Krisen steckt er voller Energie, verausgabt sich widerspenstig und bleibt sehnsüchtig auf der Suche nach dem Blick hinter die Fassaden und dem anderen, leidenschaftlichen Leben.
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2013 |
Dass es Eigensinn und Kreativität braucht, sich ehrenamtlich zu engagieren, statt nur auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse und auf staatliche Leistungen zu zählen, liegt auf der Hand. Die öffentliche Wirkung des bürgerschaftlichen Engagements steht ebenfalls außer Zweifel: 23 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich in ihrer Freizeit freiwillig und unentgeltlich, ehrenamtliches Engagement ist eine tragende Säule der Gesellschaft! Mit dem Gutedelpreis des Jahres 2013 wurde daher keine Einzelpersönlichkeit ausgezeichnet – vielmehr wollte die Gutedelgesellschaft in diesem Jahr eine Idee würdigen: die Idee des Bürgersinns, des bürgerschaftlichen Engagements aus der Region für die Region. Mit einem Sommerfest und dem obligatorischen Fass ehrte die Gesellschaft – stellvertretend für unzählige engagierte Bürgerinnen und Bürger quer durchs Markgräflerland – je zehn ehrenamtlich aktive Mitglieder von sechs Vereinen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen: Mitglieder des Markgräfler Museumsvereins Müllheim, des Theaterfördervereins „Theater im Hof“ aus Riedlingen, ehrenamtliche Wegewarte des Schwarzwaldvereins, Mitglieder der Gasthausgenossenschaft „bolando“ aus Bollschweil, Musikfreunde des Markgräfler Symphonieorchesters und Aktive des Turnvereins Neuenburg am Rhein von 1926.
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2006 |
Der Jurist Peter Eigen hatte sich als Weltbank-Manager in Afrika und Lateinamerika lange Jahre mit Entwicklungspolitik und wirtschaftlicher Zusammenarbeit befasst, bevor ihm Anfang der 90er Jahre die Sinnlosigkeit seines Tuns vor dem Hintergrund der verheerenden Folgen von Korruption und Misswirtschaft zunehmend bewusst wurde. Anders als andere zog er persönliche Konsequenzen. Eigen verließ die Weltbank und gründete 1992 „Transparency International“ mit dem Ziel, Transparenz und Verantwortlichkeit in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zu befördern.
Inzwischen ist „Transparency International“ eine der zehn größten NGOs weltweit. Mehr als 100 nationale Sektionen, Anti-Korruptionsgesetze in 35 OECD-Staaten und die Unterschrift von 134 Ländern unter der von „Transparency International“ initiierten Anti-Korruptions-Konvention der UN sind beeindruckende Beweise dafür, dass es der Organisation fast im Alleingang gelungen ist, das ehemals tabuisierte Thema Korruption international auf die Tagesordnung zu setzen.
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2001 |
Mit seinem Buch „Die Suppe lügt. Die schöne neue Welt des Essens“ hat der Journalist Hans-Ulrich Grimm einen ebenso fundiert recherchierten wie furchterregenden Bericht aus den Horrorkabinetten der Nahrungsmittelchemiker und Geschmacks-Designer vorgelegt. Auf dem Weg zur vollsynthetischen Ernährung verliert der wohlstandssatte Teil der Menschheit mit zunehmender Beschleunigung jedes Empfinden für natürliche Aromen und echten Geschmack. Ob Brötchen, Babybrei oder Bratwurst: kaum etwas wird gegessen, ohne dass die Kartelle der Aromaproduzenten mitwürzen. Die Risiken kennt niemand. Wer sich der weltmächtigen Sinnestäuscher und des ganz normalen Wahnsinns des Kleingedruckten erwehren will, der braucht solide Information und Aufklärung. Hans-Ulrich Grimm liefert sie.
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2012 |
Jean-Claude Juncker, dienstältester Regierungschef der Europäischen Union, ist für viele die Personinfizierung der politischen Einigung Europas. Er war Motor und entscheidender Akteur bei nahezu allen europäischen Integrationsfortschritten, als ständiger Vorsitzender der Euro-Gruppe spielte er gut acht Jahre lang eine Schlüsselrolle im Kampf um die Rettung der gemeinsamen europäischen Währung. Vielleicht wichtiger noch ist seine Rolle als Mittler zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und ihren europäischen Institutionen. Juncker gelingt es, die verbreitete Skepsis und Unsicherheit der Menschen gegenüber der Europäischen Union, die vielfältigen Vorurteile und Missverständnisse, vor allem aber die Sprachlosigkeit zu verringern. Einer seiner Leitsätzen lautet: "Würde mich mein Vater verstehen?" Wer außer ihm reibt sich auf in einem Dialog mit den Bürgern Europas über dessen künftige Rolle und heutige Herausforderungen? Wer kämpft für eine emotionale europäische Identität? Wer erklärt, was aus den europäischen Wirtschaftsräumen, aus seinen Währungen in den letzten zehn Jahren geworden wäre, wenn es den Euro nicht gegeben hätte? Vor allem aber: wer vermittelt, dass Europa mehr ist als ein Binnenmarkt, ein Alltagsärgernis, eine ökonomische Größe? Im Jahr 2008 sprach Premierminister Juncker anlässlich des Volkstrauertages vor dem Deutschen Bundestag. Er sprach vom Wahnsinn, der Europa in den Abgrund geführt hatte. Er sprach davon, dass das Nicht-Zusammenleben-Wollen und das Nicht-Zusammenleben-Können allein im 20. Jahrhundert 80 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Junckers Credo lautet »Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!« Europa wird von Menschen gemacht – und Jean-Claude Juncker war und ist einer der wichtigsten von ihnen.
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2003 |
„Haltung“, so der Gutedelpreis-Laudator Georg Schramm, „ist ein Begriff, den man heute nur noch aus der Krankengymnastik kennt.“ Auch nach über fünfzig Jahren im kabarettistischen Geschäft, nach mehr als 20 Jahren allein beim „Scheibenwischer“, hat Dieter Hildebrandt an Haltung keinen Zoll eingebüßt. Sein unerschütterlicher Glaube an die Vernunft und seine unstillbare Lust, den Menschen auf ihrem finsteren Weg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit hie und da ein Lichtlein anzuzünden, hat niemals nachgelassen. Mit seinen scharfsinnigen Beobachtungen hat Dieter Hildebrandt nicht weniger als kabarettistische Kulturgeschichte geschrieben.
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2002 |
Der Passauer Kabarettist, Schriftsteller, Dokumentarfilmer und Fotograf Rudolf Klaffenböck ist ein bekennender Querdenker, ein wortwörtlicher Grenzgänger. Bekannt geworden als Kabarettpartner von Bruno Jonas und Sigi Zimmerschied hat er sich Mitte der neunziger Jahre dreizehnhundert Kilometer entlag der ehemaligen Ostblockgrenze erwandert, Tagebuch geschrieben, fotografiert, Geräusche gesammelt. Wie ein einsamer Wolf zog er durch die Lande, hielt seine Eindrücke mit scharfem Blick, Tiefsinn und leisem Humor im Buch „Grenzgehen“ fest.
„Er zeigt Schwarzweiß-Aufnahmen von Grenzschildern, Buswartehäuschen, von Betten, von Wirtshäusern, von Menschen, von Straßenmarkierungen. Na und? Es ist unglaublich, aber dagegen sind die Malediven zum Gähnen. ... Diese Erkenntnis ist Klaffenböcks Geschenk: Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie da nicht, sind sie nirgendwo. Da kannst Du auf die Malediven und nach Abi Dhabi fliegen und fahren, so lange Du willst.“ (Süddeutsche Zeitung)
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2007 |
Glaubensdinge eignen sich nicht für weltliche Ehrungen. Wohl aber der Umgang mit ihnen. Zweifellos gibt es einfachere Wirkungsfelder für eigensinnige Menschen als das der katholischen Kirche. Ebenso so sicher ist aber auch, dass Eigensinn erst dann zur vollen Blüte gelangt, wenn er sich Raum erkämpfen und innere wie äußere Blockaden überwinden muss. Karl Kardinal Lehmann steht auf dem Fundament seines Glaubens im Spannungsfeld zwischen den Strukturen seiner Kirche und den Herausforderungen der modernen Lebenswirklichkeit. Er hat es sich dabei nie leicht gemacht. Er hat sich nicht in den bequemen Winkel der eigenen Überzeugung zurückgezogen. Er befindet sich in permanenter Diskussion mit der Welt und seiner Kirche darin. Einfache Antworten sind von ihm nicht zu haben. Um die heißen Eisen – Sexualethik, Zölibat, Ökumene, Frauenordination – hat er nie einen Bogen gemacht. Schärfe in der Analyse, Maß im Urteil und die Bereitschaft zum Kompromiss zeichnen Kardinal Lehmann ebenso aus wie der Wille, sich vor heiklen Fragen weder ins Apodiktische noch ins Aphoristische zu flüchten. Lehmann scheut als glänzender Philosoph und Theologe niemals die Mühsal der gründlichen Beweisführung, spricht statt zu predigen und ist über die Jahre ein Mensch geblieben, der zuhören kann und zuhören will.
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2009 |
„Man schämt sich, in so einem Sender überhaupt noch zu arbeiten. Von mir aus schmeißt mich jetzt raus, ich bin des Kampfes eh müde.“ FAZ am 12. Oktober 2008
Nachdem Elke Heidenreich dem ZDF den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, da tat das Zweite Deutsche Fernsehen das einzig Erwartbare: Es ignorierte ihn und warf die Werferin hinaus. Es opferte die erfolgreichste Literatursendung im öffentlich-rechtlichen Programm ohne viel Federlesens, weil der Ton ihrer Moderatorin nicht behagte. Elke Heidenreich hatte sich in Ihrer Sendung „Lesen!“ fünf Jahre lang mit grenzenloser Leidenschaft für das geschriebene Wort engagiert. Sie brachte einem breiten Publikum (bis zu 2,5 Millionen Zuschauer) die Literatur auf einzigartige Weise nahe, befeuerte die öffentliche Diskussion über Bücher und Autoren, lockte Menschen in die Buchhandlungen, die sich sonst nie dorthin verirrte hätten. Mit einer halben Stunde Sendezeit – sechsmal im Jahr – wurde „Lesen!“ zur wirkungsmächtigsten Instanz der deutschen Literaturszene. Heidenreich schlug eine Schneise durch den Urwald der jährlich 100.000 Neuerscheinungen und ihre Zuschauer folgten ihr: Fast alle Bücher, die sie empfahl, landeten anschließend auf den Bestsellerlisten. Bis Sie dann herauspolterte, was auf der Hand lag: „...wie jämmerlich unser Fernsehen ist, wie arm, wie verblödet, wie kulturlos, wie lächerlich.“ In den Worten unseres Gutedelpreisträgers Stefan Niggemeier (2008): „Es geht darum, ob das ZDF es aushält, dass Persönlichkeiten wie Elke Heidenreich auf ihre ganz eigene, nicht immer leicht zu ertragende Art Kritik am ZDF üben. ... Heidenreich hat, bewusst oder unbewusst, das ZDF getestet. Es hat den Test nicht bestanden.“
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2016 |
„Stefan, Dein Mut, auch in schwierigen Zeiten Deine Vision zu verfolgen, wird Generationen von zukünftigen Wissenschaftlern inspirieren.“
Mit diesen – auf Deutsch gesprochenen – Worten beendete Måns Ehrenberg, Mitglied des Nobel- Komitees, sichtlich gerührt seine Laudatio auf den Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 2014. Und tatsächlich hatte der Leiter des Göttinger Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie ein leuchtendes Beispiel für kreativen Eigensinn und Durchhaltevermögen gegeben, bevor ihm schließlich gelang, was seit mehr als einem Jahrhundert als unmöglich galt: gleichartige Strukturen unterhalb einer Größe von 200 Nanometern mit einem Lichtmikroskop detailgenau abzubilden. Stefan Hell folgte seinem Instinkt – und seiner Überzeugung: "Wenn alle dasselbe denken, werde ich misstrauisch" Ohne Laborplatz, ohne Mentor, ohne prominente wissenschaftliche Veröffentlichungen hangelte er sich jahrelang mühsam von Stipendium zu Stipendium, bewarb sich mehr als dreißigmal erfolglos um eine Professur. „Normalerweise überlebt eine Karriere einen solchen Verlauf nicht“, erklärte nach der Verleihung der Sekretär des Nobelpreis-Komitees, „Stefan hat es geschafft.“ Dank Hells Verfahrens könne man nun erstmals in lebende Zellen blicken, die "innersten Geheimnisse des Lebens abbilden", so die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften. Eine „Revolution in Biologie und Medizin" sei Dank seiner Forschung zu erwarten. Die Gutedelgesellschaft zeichnete 2016 einen der bedeutendsten Wissenschaftler unserer Zeit aus – und einen ebenso bescheidenen wie freundlichen, humorvollen und eigensinnigen Charakterkopf.
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2017 |
Winfried Kretschmann
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2000 |
„Ich ... heiße ... Erwin ... Lindemann, bin Rentner und 66 Jahre ... mit meinem Lottogewinn von 500.000 D-Mark mache ich erst mal eine Reise nach Island ... dann fahre ich mit meiner Tochter nach Rom und besuche eine Papstaudienz ... und im Herbst eröffne ich dann in Wuppertal eine Herren-Boutique.“
Der Schauspieler Heinz Meier gehört zum unvergänglichen Loriot-Universum wie Evelyn Hamann oder der Kosakenzipfel. Den Gutedelpreis erhält er jedoch weder für „Mutters Klavier“ noch für die „Kalbshaxe Florida“. Die Auszeichnung gilt seinem jahrzehntelangen kulturellen Engagement für die Region. Mit seinem Freiburger Wallgraben-Theater – 1953 mit acht selbst gezimmerten Holzbänken und zwei Scheinwerfern aus alten Marmeladeeimern als eines der ersten Privattheater Deutschlands gegründet – hat er sich seinen Lebenstraum erfüllt. Hier lebt er sein Ideal, auf der eigenen Bühne Menschen zusammenzubringen, die ihre künstlerische Freiheit zu nutzen bereit sind, und die die Chance ergreifen wollen, mutig zu sein. Wer es mit der regionalen Kultur ernst meint, der muss seine regionalen Künstler ehren.
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2010 |
Wenige Monate nach der schwersten Wahlniederlage der SPD in der Nachkriegszeit, zeichnet die Gutedelgesellschaft mit Dagmar Metzger und Heinz Buschkowski zwei Sozialdemokraten von echtem Schrot und Korn aus. Zwei, von denen man viel lernen kann über die Ursachen der Politikverdrossenheit in Deutschland – vor allem aber: über die Mittel dagegen. Die frühere Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger hatte durch ihr einsames „Nein!“ eine Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei in Hessen nach der Landtagswahl 2008 verhindert. Sie fühle sich an ihr diesbezügliches ausdrückliches Versprechen aus dem Wahlkampf gebunden, ein Wahlversprechen dieser Art sei von grundsätzlich anderer Natur als programmatische Vorhaben, Wünsche und Ziele. In der Folge schlugen ihr Entrüstung entgegen und Verachtung, sie wurde in ihrer Fraktion geschmäht und geschnitten, zum Verzicht auf ihr Mandat aufgefordert, des Verrats geziehen. Einen Tag nach ihrer Erklärung wurde sie in einer Sitzung des Landesparteirates niedergeschrieen und beschimpft – niemand solidarisierte sich mit ihr, über Stunden entlud sich die Aggression eines ganzen Saales gegen die neu gewählte Abgeordnete: "Wir sind gewählt worden, um zu regieren, nicht, um unser Gewissen zu hinterfragen!“ Als Dagmar Metzger sich entschieden hatte, ihre Entscheidung öffentlich zu machen und durchzuhalten, war ihr zweifellos bewusst, dass dies das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten würde. Heute sitzt sie wieder in ihrem alten Büro als Justitiarin der Sparkasse Darmstadt. Und sie bereut nichts.
Heinz Buschkowsky, Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln, wurde weit über die Grenzen Berlins durch seine präzisen, unbequemen Analysen der Lage am unteren Ende unserer Gesellschaft bekannt. Seine Themen sind "Schmuddelthemen", in seinen Reden geht es um Unterschicht und Bildungsferne, um Jugendgewalt, um die Flucht der Mittelschicht aus bestimmten Vierteln. Das klingt dann so: "Die Familien, die uns Probleme bereiten, kommen aus Gegenden, wo es eine Überlebensfrage ist, ob man seine Ziegen über den Winter kriegt. Und wie man sich vor marodierenden Banden schützt. Dort existieren keine Zentralinstanzen. Der Notruf 110 ist im Dreiländereck Iran, Irak, Türkei unbekannt. Schütze dich selbst, heißt es da, die Jungs werden erzogen zu Mut und Tapferkeit. Das sind ganz andere Werte als die, die hier gefragt sind, dort stimmen sie, hier nicht.“ Viele halten Heinz Buschkowsky für einen Populisten. In Wirklichkeit folgt er nur Ferdinand Lassalle: "Jede politische Aktion beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist." Anders als Thilo Sarrazin hat Heinz Buschkowsky sein Leben nicht nur am Schreibtisch verbracht. Wenn er in die Schulen seines Bezirks geht, begegnen ihm Kinder, die noch den Schlafanzug unter ihrer Jeans tragen. Kinder, die im Winter im T-Shirt zur Schule kommen. "Diese Kinder", sagt er, "sind nicht dümmer als die Kinder sieben Kilometer weiter im Süden.“ In einem Land, in dem die politische Korrektheit zur Verharmlosung von Problemen hochwillkommen ist, bedient Buschkowsky den pawlowschen Reflex der Öffentlichkeit und setzt damit Themen. Sein Mittel ist die Grenzverletzung. Angebote, in den Bundestag zu wechseln, lehnte er ab. Stattdessen spendet er Preisgelder für seinen Bezirk, ließ 140 Stadtteilmütter schulen, richtete in jeder Problemschule Stationen mit Sozialarbeitern ein, verhalf dem Türkisch-Deutschen Zentrum zu Räumen im Rathaus, kümmert sich persönlich um das Lehrstellenangebot und ist und bleibt für jeden seiner Bürger ansprechbar.
Heinz Buschkowsky sagt, was ist.
Dagmar Metzger tut, was sie sagt.
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1995 |
Manchmal braucht es nicht viele Worte: Georg Schramm ist das Beste, was das politische Kabarett deutscher Sprache zur Zeit zu bieten hat – zornig, wortgewaltig, radikal. Dazu tödlich pointensicher und von schauspielerischer Brillanz.
„Georg Schramm, der große Moralist und Humanist, gibt dem Kabarett zurück, was ihm die Comedy gestohlen hat: Brennende Relevanz.“ Die Welt
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2014 |
Es gibt Menschen, die Christian Streich nicht verstehen. Journalisten, die ihn einen „Kult-Kauz“ nennen und den "verrücktesten Trainer der Liga", weil er die 400 Meter zwischen seiner Wohnung und dem Trainingsgelände seines SC-Freiburg auf dem Fahrrad zurücklegt. Oder weil das Alemannische seine Sprache färbt. In Wirklichkeit ist Christian Streich vor allem eines: ein herausragender Fußball-Lehrer, eine fachliche und charakterliche Ausnahmeerscheinung im eiskalten Millionenbusiness Bundesliga: Ehrgeizig und menschlich zugleich, offen, authentisch. Warmherzig und sensibel sei er, sagen Menschen, die ihn gut kennen. Er sei einfach vollkommen unfähig zu lügen. Das Publikum hat dafür ein feines Gespür, seine Spieler – ob in der ersten oder in der zweiten Bundesliga – sowieso. „Christian Streich zeigt durch seine unverkünstelte Gradlinigkeit, dass auch in der schwierigen Welt des Profifußballs Menschlichkeit und Bodenhaftung gelebt werden können“ heißt es in der Preisbegründung – nichts braucht der Fußball mehr, als eigensinnige, unabhängige Charakterköpfe!.
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2015 |
Das Elsass ist der vielleicht europäischste Teil Europas. Politisch klein und kulturell groß, traumschön an der Oberfläche und traumatisiert darunter, hin- und her geworfen und -gerissen, kein Quadratmeter, der nicht blutdurchtränkt wäre. Tomi Ungerer ist Elsässer. Und ein Fachmann für Traumatisierungen – sowie für ihre Therapie. Humor gehört für ihn zwingend dazu, Lachen und Nachdenken. „Es gibt kein anderes Mittel gegen Vorurteile, Hass und Ungerechtigkeit als die persönliche Bewusstseinsentwicklung, die uns unsere Pflichten diktiert“ schreibt er in seinem Buch „Die Gedanken sind frei“ – betitelt nach seinem Lieblingslied. Den Gutedelpreis erhält er für ein Lebenswerk, wie es kaum zu beschreiben ist. Für sein unermüdliches humanitäres Engagement – besonders für Kinder, für die Aids-Hilfe, den Tierschutz, den deutsch-französischen Kulturaustausch, seine Heimat, das Elsass – vor allem aber für seine künstlerische Arbeit, die er auch mit Mitte 80 weder zügeln will und kann. Wie er selbst sagt: „Ich muss immer meine Barrikaden haben.“ Gäbe es den Gutedelpreis für öffentlich wirksamen, kreativen Eigensinn nicht – eigens für Tomi Ungerer müsste man ihn erfinden!
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2007 |
Gesine Schwan wurde der Gutedelpreis für ihre erste Kanditatur um das Amt der Bundespräsidentin zuerkannt. Bis zum März 2004 war sie den meisten Deutschen völlig unbekannt. Das änderte sich mit ihrer Nominierung innerhalb weniger Wochen schlagartig. Die knappe Zeit, die ihr blieb, den Deutschen ein Begriff zu werden, hat sie genutzt wie niemand vor ihr. Dazu bedurfte sie keiner PR-Strategie, keines Werbefeldzuges. Gesine Schwan sprach von Vertrauen als Voraussetzung für Freiheit, vom Vertrauen der Bürger in die demokratischen Institutionen. Wie kann man es erhalten, wenn die Globalisierung droht und die Angst vor sozialem Abstieg umgeht? In Zeiten, da die Menschen von Zweifeln ergriffen und das Land von Ängsten gelähmt erscheint, hat Gesine Schwan Säle mit Menschen gefüllt, die nichts, als ihr aufmerksam zuhören wollten. Sie hat gezeigt, dass die entscheidende Voraussetzung für das Vertrauen in Institutionen immer noch das schlichte Vertrauen in einzelne Personen ist. Man bringt es ihr entgegen, weil sie meint, was sie sagt; weil sie ohne Vorbehalte spricht; weil sie ihr Gegenüber tatsächlich ernst nimmt. Sie hat, was oft schmerzlich vermisst wird: Charisma.
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2017 |
Alice Schwarzer
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2018 |
Wolf Biermann
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1996 |
Wer hierzulande das Essen nicht nur als lästigen Urtrieb ansieht, den es mittels Tiefkühlpizza und Tütensuppe möglichst effizient zu bekämpfen gilt, der kommt an Wolfram Siebeck nicht vorbei. Als „Adorno des Schneebesens“ hat er für seinen Kampf um die Verfeinerung der kulinarischen Sitten in den letzten vier Jahrzehnten rund 45 Bücher sowie ungezählte Artikel veröffentlicht. Wolfram Siebeck stand an der Wiege der gastronomischen Emanzipation dieses Landes. Auch dank seiner scharf zugespitzten Feder kam der Kochlöffel in Deutschland zu Glanz und Geltung. So hat sich Wolfram Siebeck nicht nur kulinarisch, sondern auch gesellschaftlich und kulturell verdient gemacht.
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1998 |
Dr. Michael Sladek und seine Frau Ursula sind im Wortsinne Weltverbesserer. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 beschlossen sie gemeinsam mit weiteren Bürgern ihrer kleinen Schwarzwaldgemeinde Schönau, die Frage nachhaltiger und sicherer Energieerzeugung in die eigene Hand zu nehmen. Sie schlossen sich in der Initiative „Eltern für atomfreie Zukunft“ zusammen, gründeten ein bürgereigenes, in erster Linie ökologischen Zielsetzungen verpflichtetes Energieversorgungsunternehmen und übernahmen 1997 nach harten Kämpfen und zwei Bürgerentscheiden das lokale Stromnetz. Diese Pioniertat der „Schönauer Stromrebellen“ hat inzwischen bundesweit zahlreiche Nachahmer gefunden. Ursula und Michael Sladek haben mit ihrem tragfähigen „Schönauer Modell“ gezeigt, dass eine atomstromfreie, klimafreundliche und nachhaltige Energiezukunft keine Frage abstrakter globalpolitischer Erörterungen bleiben muss.
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2008 |
BILDblog, im Juni 2004 von Stefan Niggemeier und Christoph Schultheis gegründet, gehört zur Avantgarde der Medienkritik im Internet. In akribischer Kleinarbeit und mit Ironie nimmt es tagesaktuell sachliche Fehler, Irreführendes, bewusst Sinnentstellendes oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Berichterstattung von BILD, BamS und Bild.de aufs Korn. Es will auf der Basis verlässlicher Gegen-Recherchen die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme, das Selbstverständnis von Europas größter Zeitung ganz allgemein und ihre Wirkung auf andere Medien transparent machen. Heute wird BILDblog von 40.000 Menschen täglich gelesen. Mit dem Gutedelpreis für Stefan Niggemeier und Christoph Schultheis würdigt die Gutedelgesellschaft einen ebenso wichtigen wie erfolgreichen Beitrag zur Entwicklung einer Gegenöffentlichkeit im Internet.
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2004 |
Monica Thommy-Kneschaurek und Dominique Thommy haben mit ihrem Teufelhof am Basler Heuberg – gegen alle Widerstände in einer 2361-tägigen Bewilligungsschlacht, deren Akten heute die Wände des Theaters tapezieren – ein sinnliches und kulturelles Refugium von hohem Rang geschaffen. Gastronomie, bildende und darstellende Kunst gehen dort eine symbiotische Verbindung ein. Was soll man viele Worte machen: Wer verstehen will, warum der Teufelhof gutedelpreiswürdig ist – der muss ihn erleben.
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